Vereinsleben Vegetarische Warte, 1908
Dresden. Vegetarier-Verein.
Montag 17. und Dienstag 18. August
Internationaler Vegetarier-Kongreß im kleinen Saale des Vereinshauses,
Zinsendorffstr. 17. Montag Abend Empfang, Dienstag Beratung; abends
öffentliche Versammlung.
(Vegetarische Warte , 5. August 1908, Heft 16, Seite 196)
Dresden. Vegetarier-Verein
Die am 5. August im Speisehaus "Freya" abgehaltene Mitgliederversammlung,
die von 16 Personen besucht war, faßte nach längerer Beratung
endgültig Beschluß über die vorbereitenden Maßnahmen
zur Internationalen Tagung. Georg Förster
(Vegetarische Warte, 2. September 1908, Heft 18, Seite 214)
Internationaler
Vegetarier-Kongreß
Der vegetarische Gedanke ist weltumfassend, und wir
sprechen von einer vegetarischen Weltanschauung. Das legt den Plan
nahe, auch die Menschenwelt von überall in dem vegetarischen
Gedanken zu vereinen. Dies zur Tat werden zu lassen war ein langgehegter
Wunsch der Besten unter den Vegetariern aller Länder. Ein französischer
Arzt und Vegetarier, Dr. Danjou, gab im vorigen Jahre beim 60 jährigen
Jubelfeste der Vegetarischen Gesellschaft in Manchester den Anstoß,
und die englischen Gesinnungsgenossen griffen den Plan sofort auf.
Dr. Danjou verfolgte hierbei hauptsächlich die Absicht, die Brüderlichkeit
unter den selbst räumlich entferntesten Vegetariern zu pflegen,
ferner ihre Werbearbeit durch gegenseitigen Austausch von Erfahrungen
zu beleben und zu vertiefen, und schließlich auch die allgemeine
Presse aller Länder zu lebhafterer Stellungnahme zum Vegetarismus
zu veranlassen. Daß dieser Plan zeitgemäß ist, bewiesen
die freudigen Zustimmungen, die aus allen Kulturstaaten eintrafen,
wo Vegetarier sich zusammengefunden haben. Wir Deutschen aber erlebten
die Freude, dass unser Vaterland zum Versammlungsorte für die
erste Internationale Tagung ausersehen wurde. In Dresden sollten sich
zum erstenmale die Bevollmächtigten der vegetarischen Landesverbände
zusammenfinden, und der Dresdener Kongreß der Anhänger
der Weltsprache Esperanto sollte das Zusammenkommen erleichtern helfen.
Dieser letzte Gedanke erwies sich aber als trügerisch, so klug
er ausgedacht sein mochte. Kaum einer der Vegetariertagung war Esperantist.
Die Zahl der in Dresden versammelten Bevollmächtigten
war nicht groß. Nur Deutschland, England und Holland waren vertreten,
und ganz zum Schluß meldete sich noch ein Abgesandter der drei
Nordreiche. Selbstverständlich bildeten den Stamm der Versammlung
die Mitglieder des Dresdener Vegetariervereins. Aus Manchester waren
erschienen die Herren Broadbent, Simpson und Harris, aus London Herr
Gill, aus Rotterdam der Sekretär des Niederländischen Vegetarierbundes
Herr Meyroos. Unser Bund war vertreten durch den ersten und den dritten
Bundesvorsitzenden (Selß und Rothe), die Bundesvertreter Heinicke-Dresden
und Luck-Berlin, den Vorstand des Dresdener Orstvereins (Dreßler
und Förster) und Herrn Lentze für den Orstverein Leipzig.
Die Hauptfrage der Tagung, ob die sofortige Begründung
eines internationalen Verbandes der Vegetarier wünschenswert
sei, wurde nicht nur von allen Anwesenden bedingungslos bejaht, sondern
die vorliegenden Schreiben der Verbände von Skandinavien, Dänemark,
Rußland, Oesterreich, Spanien, Frankreich, Belgien und Nordamerika
gaben uns die Gewißheit, daß alle organisierten Vegetarier
des Erdenrunds die Vereinigung einstimmig wünschten. Auf Grund
ihrer Vollmachten und gestützt auf die schriftlichen Zustimmungen
aller der genannten Landesverbände schlossen die Anwesenden am
Dienstag den 18. August den geplanten Bund, der in der Taufe den Namen
"Internationale Vegetarier-Union" erhielt. Man verabredete,
daß die nächste Zusammenkunft 1909 in Manchester gelegentlich
des 100jährigen Jubiläums der ältesten Vegetarier-Organisation,
der Vegetarian Church, stattfinden, und daß bis dahin von der
Bildung einer Unionskasse abgesehen werden sollte, da man hoffte,
daß in Manchester sich eine größere Zahl von ausländischen
Vertretern zusammenfinden und eine größere Beschlußfähigkeit
ergeben würde. Einstweilen wurden in das Unionskomitee gewählt
die drei Herren Boradbent (England), Meyroos (Holland), Selß
(Deutschland), denen das Recht der Kooptation zugesprochen wurde.
Die Gewählten versprachen, bis zur nächstjährigen Tagung
die Grundlagen für eine Organisation auszuarbeiten und mit den
nichtvertretenen Ländern engere Fühlung zu nehmen.
Es folgten nun die Berichte aus den drei vertretenen
Ländern. Ich gab einen kurzen Überblick über die Geschichte
des deutschen Vegetarismus und unseres Bundes und schilderte dessen
jetzige Lage und Verfassung. Herr Broadbent gab in englischer Sprache
eine Übersicht über die vorbildliche praktische Werbearbeit
der englischen Vegetarier und legte die von seiner Gesellschaft jetzt
verbreiteten Flugschriften vor, die größtenteils von ihm
selbst verfaßt sind. Herr Meyroos stellte sich als Vertreter
der jüngsten aber doch erfolgreichsten Vegetarierorganisation,
nämlich des Niederländischen Vegetarierbundes, vor und schilderte
in deutscher Sprache dessen erst vor 11 Jahren begonnenen sieghaften
Entwickelungsgang und gegenwärtigen blühenden Stand.
Der Umstand, daß Herr Broadbent kein Deutsch verstand,
nötigte ihn, den Vorsitz in meine Hände zu legen, obwohl
der ihm als dem Vertreter der ältesten Vegetarierorganisation,
welche die Vorbereitungen dieses Kongressen und einen erheblichen
Teil der Kosten geragen hatte, gebührte. Ich habe die Leitung
während der ganzen Tagung in Händen gehabt und dabei oft
gleichzeitig als Dolmetscher wirken müssen, wobei mich Herr Dreßler,
der Vorsitzende des Dresdener Vereins, verständnisvoll unterstützte.
Zwei gesellige Abende waren mit der Zusammenkunft verbunden,
nämlich am Montag und am Dienstag. Beide, besonders der Dienstag
Abend, waren gut besucht und brachten allen Teilnehmern angenehme
Geselligkeit und schöne Kunstgenüsse. Als Gesangsküntler
traten Herr Harris und Fräulein Cooper, als Klaviervirtuose Herr
Thesmar, als Violinist ein Mitglied des Dresdener Vereins auf (dessen
Name mir leider entfallen ist). Ferner erfreute uns unser Freund Maler
Schwenk* durch mehrere poetische Vorträge, desgleichen ein Fräulein
aus Dresden. Herr Dreßler hielt am ersten Abend die Begrüßungsrede
in deutscher und englischer Sprache. Die englischen und der holländische
Gesinnungsgenosse erfreuten uns mehrmals durch Ansprachen. Herr Otto
vom Sportklub "Vegetarier" aus Karlsruhe hielt einen kurzen
Vortrag über die Bedeutung des vegetarischen Sports. Zu allerletzt
traf noch ein norwegischer Esperantist und Vegetarier ein, der uns
Grüße von den nordischen Vegetariern und ein Begrüßungsschreiben
von Herrn Saxon überbrachte. Allen Mitwirkenden sei für
ihre freundlichen Bemühungen herzlicher Dank gesagt.
Vorbereitet war der ganze Kongreß von den Gesinnungsfreunden
aus Manchester. Ihnen gebührt daher vor allem der Verdienst um
das Zustandekommen dieser wichtigen neuen Verbindung, welche die Vegetarier
aller Länder zusammenschließen soll, daß sie sich
über die Ländergrenzen, über die trennenden Berge und
Meere hinweg die Hände zum Bunde reichen, um sich alle in dem
einigen Gedanken des Vegetarismus zusammenzufinden. Dank allen, die
hierzu durch ihre Arbeit beigetragen haben.
Unser Dank gilt aber auch dem Dresdener Vegetarierverein,
der durch emsige Vorbereitungen die Tagung hat ermöglichen helfen.
Dies ist umso anerkennenswerter, da der Verein noch jung und verhältnismäßig
wenig kräftig ist. Die Herren Dreßler und Förster
haben sich dabei besonders verdient gemacht.
Anerkannt mit gebührendem Dank sei ferner die Tätigkeit
der Dresdener Ortspresse, die mehrere ständige Berichterstatter
gesandt und durch ausführliche und wohlwollende Berichte unsere
Sache wesentlich unterstützt hat. Nicht vergessen will ich auch,
der Tätigkeit des Wirtes vom Evangelischen Vereinshause zu gedenken,
in dessen behaglichen Räumen die ganze Tagung stattfand, und
wo das rasch improvisierte vegetarische Festmahl am Dienstag unserem
vegetarischen Geschmack bestens entsprochen hat.
Daß sich die sich zum erstenmale begegnenden Gesinnungsfreunde
aus der Ferne auch außer der Versammlungsstunden sich nähertreten
konnten, war ein besonders glücklicher Umstand und wurde dadurch
ermöglichst, daß alle zusammen ein Heim fanden in der internationalen
Pension unserer unermüdlichen ehrwürdigen Gesinnungsgenossin
Frau Dr. B. Thesmar (Münchenerstr. 9), die zusammen mit ihrem
liebenswürdigen musikalischen Sohne uns die Tage der Arbeit durch
häusliche Behaglichkeit zu erleichtern verstanden hat.
Ein Ausflug in die sächsische Schweiz am Mittwoch
mit Elb-Dampfer-Rückfahrt gab den inhaltvollen Tagen einen schönen
Ausklang. Eine photographische Gruppenaufnahme gibt für alle
Zeiten Zeugnis von dieser denkwürdigen ersten internationalen
Vegetarier-Tagung, die allen Teilnehmern unvergeßlich sein wird.
Dr. Selß
(Vegetarische Warte, September 2nd, 1908, issue 18, Page 214)